Dienstag, 6. September 2016

Nulki Ranch


Heute Morgen hiess es schon wieder Abschied nehmen. Dieses Mal von der Nulki Ranch und deren Bewohner, unserem Zuhause der letzten paar Tage. Vor einer Woche kam Fidel am Flughafen in Prince George an und ich wartete schon den ganzen Tag ungeduldig und voller Vorfreude in der Prince George Shopping Mall. Shellie hatte mich auf ihrem Weg zur Arbeit mit in die Stadt mitgenommen und dann dort deponiert. Ich wartete also, bis Shellie fertig gearbeitet hatte, mir mein Gepäck vorbeibrachte und wir uns verabschieden konnten. Anschliessend sass ich eine scheinbar endlos lange Zeit in einem Starbucks mit meinem ganzen Gepäck und wartete auf Claire und ihren Sohn Lucas, bei welchen Fidel und ich während der kommenden Woche wohnen und arbeiten würden. Wir hatten vereinbart, dass Claire mich im Café abholen kommt und wir dann zum Flughafen fahren, um gemeinsam Fidel abzuholen und dann nach Hause zu gehen. Als Claire und Lucas mich aufgelesen hatten und wir am Flughafen angekamen, war Fidels Flugzeug schon gelandet und nach einer kurzen Wartezeit kam er dann auch im Empfangsbereich an, wo ich ihm direkt in die Arme rennen konnte. Entsprechend seiner langen Reise war Fidel völlig erschöpft und so traten wir umgehend den eineinhalb stündigen Weg zur Nulki Ranch, etwas ausserhalb von Vanderhoof, an.
Wir erreichten die Ranch am frühen Abend und nachdem uns unsere Unterkunft gezeigt wurde, kippten wir sogleich ins Bett und schliefen sofort ein. So kam es, dass wir uns erst am nächsten Tag unser neues, temporäres Zuhause ansehen konnten. Und was wir dann sahen, war unglaublich. Das Haupthaus, ein einstöckiges, langes Gebäude mit einer riesigen Veranda, befand sich direkt am See in bester Lage. Neben dem Haupthaus gab es ausserdem noch unzählige Hütten (die Ranch wär früher ein Gästeresort), wovon allerdings in erster Linie nur die vier in der Nähe des Haupthauses in Gebrauch waren. Die erste Hütte war die Bootshütte, mit allerlei Materialien für Wasseraktivitäten wie Kanu  fahren, Kajaken, Motorboot fahren, Fischen, etc. Die zweite Hütte war Connor und Lee-Ann's, Claire's Sohn und seine Freundin, eigenes Reich. Die dritte Hütte, ein mittelgrosses Häuschen mit einem Schlafzimmer, Bad, Küche, Wohnzimmer und Veranda auf den See, war unsere Cabin. Und schlussendlich die vierte Hütte war das zukünftige Büro von Claire's Mann, welcher zu diesem Zeitpunkt allerdings noch in Vancouver arbeitete.

Der Ausblick vom Eingang des Haupthauses

Das ganze Gelände des Hauptteils der Ranch lag also direkt am Wasser, was uns so manche wunderschöne und eindrückliche Anblicke lieferte. Sonnenuntergänge waren spektakulär und der See war so klar, dass man fast jederzeit die gesamte Landschaft auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, perfekt in diesem gespiegelt sehen konnte. Ausserdem war dieser See Zuhause für sowohl Bold Eagles, wir auch unzählige Pelikane, was scheinbar sehr ungewöhnlich sei. Neben dem Hauptgelände am See mit rund 4km Wasserzugang, gehörten der Familie Nielsen weitere rund 1100 Hektaren. Der grösste Teil des Landes wurde jedoch vor allem für Anbau verwendet, was ich persönlich sehr schade fand. Anstatt nur zwei Pferde und ein Rind, würde ich auf solch einem Grundstück wahrescheinlich eher eine grosse Herde Pferde und diverse andere Tiere halten. ;)
Claire erzählte mir einmal, dass sie vor allem im Frühling jeweils viel Hilfe brauche, aber dass es mittlerweile kaum mehr Dinge gab, welche wirklich unbedingt erledigt werden müssten. Unser Eindruck, dass die uns gegebenen Aufträge in erster Linie zu Beschäftigungszwecken gegeben wurden, war also nicht weit hergeholt. Und so gab es jeweils nicht allzu viel zu tun während den Tagen. Für uns (besonders Fidel) war das allerdings sehr angenehm (anfangs war es für mich jedoch ziemlich komisch, weil ich mich im Vergleich zu vorher plötzlich ziemlich unnützlich fühlte), denn so hatten wir jeden Tag Zeit, um noch andere Dinge zu erleben. So gingen wir z.B. einmal gemeinsam mit dem Kanu auf die rund 40min entfernte Insel mitten im See, mit Claire zu ihrer Mutter in Vanderhoof zum Zmittag, zum Farmers Market, mit Lucas ins Kino um "Finding Dory" zu schauen oder am Wochenende auf Ausflüge mit den Nielsen's.

An dem einen Wochenende während unserer Woche mit der Familie, gingen wir gleich zwei Mal zu Wasserfällen. Das eine Mal gingen wir mit der ganzen Familie auf eine kleine Wanderung zu einem Wasserfall in der Nähe. Unterwegs zum Beginn des Trails fuhren wir auf endlosen "log roads", welche gesäumt waren von bizarren, riesigen Zahnstochern ähnelnden, schwarzen Bäumstümpfen. Claire erzählte uns beim Vorbeifahren, dass an diesem Ort vor einigen Jahren ein verheerender Waldbrand gewütet hatte. Dieser hatte unvorstellbar grosse Ausmasse angenommen und stammte lediglich von der Glut einer einzigen aus dem Fenster geworfenen Zigarette... Wir fuhren über eine halbe Stunde mit rund 80km/h durch diese bizarre Landschaft und die verkohlten Baumstümpfe schienen kein Ende nehmen zu wollen. Dies war einerseits erschreckend, anzusehen, doch andererseits war es auch faszinieren zu sehen, wie sich bereits von unten kleine Bäumchen wieder hochkämpften.



Nachdem wir am Trailstart ankamen, wanderten wir ca. 30min um zum  Wasserfall zu kommen und als wir dort waren und dieses eindrückliche Naturphänomen etwas bewundert hatten, sassen wir noch etwas um ein mit harter Arbeit erkämpftes Feuer (fast alles Holz war nass, doch wir hatten viel Rinde und Harz gesammelt, sodass wir das Feuer tatsächlich zum brennen brachten), bevor wir den Heimweg wieder antraten. 


Am selben Wochenende erlebten wir zudem ein weiteres Wasserfall-Abenteuer. Dieses war aber von ganz anderen Ausmassen. Connor und Lee-Ann wollten uns zu einem anderen Wasserfall bringen, zu welchem man nicht ganz so einfach hin gelangen konnte. Nach einer fast einstündigen Fahrt über unzählige "dirt roads", kamen wir zu einem Parkplatz mitten im Nirgendwo, von wo aus wir losliefen. Wir wanderten etwa eine dreiviertel Stunde und mussten unterwegs zahlreiche riesige Wasserpfützen überqueren, welche sich oft auf der ganzen Breite des Trails, inmitten des dichten Dickichts, gesammelt hatten. 
Nach diesem ersten Marsch, mit viel aufwärts laufen und rutschigen Wegen,  erreichten wir einen Punkt, an dem es hiess: "Now the only way is down". Treffender hätte man es nicht formulieren können. Wir standen an einem steilen Abhang und von rund 30m weiter unten trug uns der Wind das Geräusch eines rauschenden Flusses herauf. Connor und Lee-Ann erklärten, dass wir bis nach fast ganz unten den Abhang runterklettern mussten, um zum Wasserfall zu gelangen.

Ich trat etwas weiter vor, um den Abstieg etwas besser sehen und einschätzen zu können und schluckte erstmal leer und schwer. Auf dem Weg nach unten gab es drei zu bewältigende schwierige Passagen: die erste war ein steiler, schmaler Weg, welcher nur mithilfe eines auf der Anhöhe befestigten Seiles machbar war und zudem noch rutschigen Untergrund hatte. Die zweite Passage bestand aus einer ca. 5m hohen steil senkrechten Felswand, an welcher wir uns abseilen mussten. Die dritte und letzte Passage war ein schmaler Grat, welcher teilweise horizontal, teilweise nach unten geneigt an der Felswand entlang zu unserem Ziel, dem Wasserfall, führte. Als wäre der Abstieg an sich mit diesen Passagen nicht schon beängstigend genug gewesen, klaffte ständig unmittelbar unter uns der Abgrund und noch weiter unten der tosende Fluss. Wenn jemand von uns einen falschen Schritt gemacht hätte und gerutscht wäre, hätte es kein Halten mehr gegeben. Tolle Aussichten, nicht wahr?


Nichtsdestotrotz, sahen wir dem Abenteuer direkt in die Augen und nahmen die Herausforderung an. ;) Wir arbeiteten uns langsam vor und nach einigen kurzen Stops, um uns selbst Mut zuzureden, schafften wir es alle heil bis nach unten an den Fluss - was für eine Erleichterung! Doch anstatt uns etwas auszuruhen, hiess es gleich Striptease bis auf unsere Schwimmsachen, bzw. Sportsachen (wir hofften auf etwas extra Wärme, wenn etwas mehr Fläche von unserem Körper bedeckt war) und ab ins kalte Wasser. Um zu dem magischen versteckten Wasserfall zu kommen, mussten wir uns nämlich nicht nur wagemutig einen Abhang runterkämpfen, sondern auch im Fluss (welcher ca. 8Grad war, um das nebenbei noch erwähnt zu haben) durch eine Schlucht schwimmen. Als wir auch diese letzte Hürde gemeistert hatten, wurden wir dafür gebührend belohnt. Wir standen vor einem beeindruckenden und faszinierendem Wasserfall, welchen wir jedoch nicht nur von aussen betrachteten, sondern unter welchem wir auch unten durchschwammen, um ihn damm auch von hinten zu bewundern. Es war ein unglaubliches Erlebnis, die unvorstellbare Kraft eines solch grossen Wasserfalles zu spüren und ein kleines Erfolgserlebnis, es nach dem unten durchschwimmen wieder an die Oberfläche zu schaffen (was übrigens alles andere als einfach war!). Nachdem wir etwas im Wasser waren und uns unsere beinahe empfindungslos gewordenen Körper daran erinnerten, dass das Wasser doch ziemlich kalt war und wir raus sollten, gingen wir wieder zurück an das Ufer und zogen uns schnell wieder trockene Sachen an. Danach machten wir uns auf den Rückweg und kehrten dem Abenteuer für den Moment den Rücken zu. 
Das war ein solch unglaubliches Erlebnis und ich bin so froh, dass wir es alle heil überstanden haben!


Das Wohnen und Arbeiten mit und für Claire und ihre Familie war sehr angenehm und entspannt. Wir bekamen oft kleinere Dinge aufgetragen, wie z.B. den Eingangsbereich zu staubsaugern, die Hundedecke auszuschütteln, Spinnweben herunterzufegen, am Strand Algen  zu rechen etc. und nur zwei grössere und zeitintensivere Projekte wie das Putzen aller Fenster des Haupthauses, oder das Neuanstreichen von Bereichen einer Hütte.
Für Claire schien Workaway eine gänzlich andere Bedeutung  zu haben, als für Shellie und Joe. Während diese beiden stark auf die Hilfe und Arbeit von mir angewiesen waren und ich dementsprechend viel und lange arbeitete, schien es für Claire mehr um das Kennenlernen von neuen Menschen und viel weniger um das Arbeiten zu gehen. Wenn wir jeweils um 9 oder 10Uhr morgens von unserer Cabin zum Haupthaus gingen, um zu frühstücken und dann etwas zu arbeiten, waren wir fast immer die ersten, welche wach und schon aufgestanden waren. Bis dann alle wach waren, gefrühstückt hatten und wir unsere Aufträge fassen konnten, war es meistens schon nach 11Uhr...


An unserem letzten Abend in Vanderhoof ging es etwas ruhiger als sonst zu und her: wir besuchten Randy, einen guten Freund von Claire. Er wohnt noch etwas weiter im Busch als sie und arbeitet dort als Pferdetrainer und Pferdezüchter mit einer rund 50-köpfigen Pferdeherde. Bei ihm waren wir zu einem Bonfire eingeladen. Wir brachten das Abendessen und so brutzelten wir friedlich einige Maiskolben, dazu Banack (ein typisches Gericht der Indianer, welches aus einem Wienerli besteht, das mit einer speziellen Teigmasse umwickelt wird) und zum Dessert noch Smores. Bevor ich allerdings nur annähernd ans Essen denken konnte, musste ich natürlich zuerst die Pferde gesehen haben! Claire gab mir die Schlüssel zu ihrem Truck und so düste ich mit Julie (eine andere Workawayerin, welche später auch noch zu Claire gekommen war) auf dem Beifahrersitz raus auf die Weiden und zu der Pferdeherde. Es mag banal klingen, aber ich war so glücklich in diesem Moment: ich durfte mit diesem tollen Truck auf die Weiden fahren (was mir an sich schon Freude machte, so gerne wie ich Auto fahre) und dann zu den Pferden hinfahren und sie streicheln gehen oder ihnen auch nur von der Distanz aus zuzuschauen.... Leider blieben wir nur eine Woche bei Claire, aber in dieser kurzen Zeit durften wir so viele Sachen erleben, ich kann es selber kaum glauben! Ausserdem war es für Fidel, als totalen City-Boy auch eine tolle Abwechslung, mal rundum das Landleben zu erleben und zu sehen, wie ich zurzeit normalerweise lebe.

Nach dem Nachtessen durften Fidel und ich noch auf einen Quad Ausflug in der Dunkelheit. Zuerst fuhr er und dann fuhr ich noch ein bisschen - und ich genoss es, ihn etwas zu fordern. Genau über diejenigen Hügel, welche er fand, dass man nicht mit dem Quad drüberkonnte, wollte ich drüber. ;) (dank meinen Quad Ausflügen bei Shellie & Joe hatte ich schon etwas Zeit, ein Gespür für diese Maschinen zu bekommem und war damit Fidel gegenüber etwas im Vorteil). Nach diesem kleinen Abenteuer sassen wir zurück ans Lagerfeuer, tranken ein Budweiser und genossen die absolute Ruhe auf Randy's Ranch - als wir dann noch plötzlich hörten, wie die ganze Pferdeherde im Galopp über die Felder fegte und den Boden wortwörtlich zum Beben brachte, war die Stimmung perfekt. 

Nun sind wir für eine Woche in Vancouver, wo wir nun gemeinsam das City-Leben geniessen werden und dann geht es weiter für mich nach Merritt und für Fidel zurück in die Schweiz.

Bis dann, Cheers and take care!
Kyra, Nulki Ranch, Vanderhoof, BC

Perfekte Spiegelungen im Nulki Lake

Balance act

Heulagern auf kanadische Art

Neugierige Junghengste bei Randy

Julie und Ich mit Baby Rabbits am Bonfire

Die Aussicht von unserer Hütte aus

 Aussicht vom Haupthaus

Einfahrt zur Ranch

 Kaya mit uns auf Tour

Blick auf den Sonnenuntergang von unserer Hütte 

River Creek Wasserfall

 
 Die ganze Jungmannschaft (Fidel, Ich, Julie, Lucas, Connor, Lee-Ann)

 Julie am Anfang der ersten Passage des Abstiegs

Keine Kommentare: